Mittwoch, 22. November 2017

Vaters Land - Goran Vojinovic - Ein imposantes Stück Weltliteratur



Vladan ist anders. Während seine Kumpels und Bekannten Träumen nachjagen, die sie nie erreichen werden, gesteht er sich ein, dass es keinen Sinn hat. Gestern ist wie heute und wird wie morgen sein. Er geht einer Arbeit nach, die nicht seinem IQ entspricht. Sein schlechtes Gewissen schleppt ihn zu Vorlesungen an der Uni. Doch wie sollte man so einen jungen Mann auch verstehen? Wie könnte man seinen inneren Kampf mit sich selbst und der Welt überhaupt nachempfinden? 

Der Zerfall Jugoslawiens war die Detonation zahlreicher Jugendträume. „Meine Jugend endete 1991“, konstatiert er traurig und betroffen. Viel schlimmer ist die Erkenntnis, dass er erfährt, dass sein Vater mitgewirkt hatte an der Zerstörung seines Landes. Viel mehr noch: er war ein Kriegsverbrecher, der als Offizier bei der Massakrierung eines ganzen Dorfes in Vukovar teilgenommen hatte. Die Suche nach seinem Vater, der auf der Flucht ist, ist auch die Suche eine Antwort zu finden, was sein Leben zu sein vermag.

Die Bildhaftigkeit in der Sprache dieses jungen Autors und Ausnahmetalents erschafft eine nostalgische Stimmung, die einen so tief im Herzen bewegt, sodass ein Gefühl entsteht, welches dem Leben selbst nahesteht. Langsam und filigran entführt uns der Autor in eine weite Reise durch den Balkan. Der Protagonist betritt selbst ein Neuland. Dadurch ist man als Leser nah an der Figur. Folgt seinem Blick als wäre es der eigene.


Die Handlung ist zu keinem Zeitpunkt platonisch oder plastisch. Im Gegenteil! Man fühlt so sehr mit der Figur, dass man sie nie mehr loslassen möchte. Das Ende des Buches fürchtet man, weil es eine Trennung von der Figur bedeutet.Vladan erzählt die Geschichte seiner Familie, die Gleichzeitig die Geschichte Jugoslawiens ist. Es wird immer wieder von der Gegenwart in die Vergangenheit gesprungen.


 Ohne Komplikationen wird in aller Ausführlichkeit die Tragödie der Zeit geschildert. Die eine Generation, die keinen Unterschied zwischen Bosniern, Kroaten, Slowenen und Serben kannte. Im Gegenkontrast zu der Generation, die sie explizit allein an ihren Namen schon erkannte.
Aber die große Geschichte gehört der Suche nach der Wahrheit. Der Frage nach der Schuld seines Vaters. Der Frage nach der Liebe zu seinem Vater. Und der Frage, ob beides zusammen überhaupt möglich ist. Kann man einen Verbrecher lieben? Und kann man Menschen glauben, die diese Geschichten in die Welt setzen? Im Krieg geschahen drakonische Gräueltaten. Die immer wieder anders erzählt wurden. Bis sie nicht mehr zum Ursprung zurück verfolgbar waren. Resultierend daraus ergibt sich die Frage, ob das stetige Erinnern erlaubt sein darf. Ob man den Schmerz der Urgroßeltern adaptieren und ihn selbst empfinden dürfe, bis zum Wunsch nach Vergeltung. Hass auf Grund von Tätigkeiten, die nicht aus dem Puls der Zeit entstanden sind. Sondern einer fernen Vergangenheit angehören.


Neben diesen weltnahen und zeitgenössischen Fragen liefert der Autor auch zahlreiche Antworten. Die Geschichte um einen vermeintlichen Kriegsverbrecher und seinen Sohn ist brisant, imposant und rührt zu Tränen. Nebenbei wird um die Geschichte eine Liebesgeschichte gesponnen. Filigran und doch so unscheinbar liefert sie dennoch einen Stoff aus dem die schönsten Träume zu sein vermögen.


Dieser Roman ist ein Stück Weltliteratur. Selten konnte mich eine Geschichte so fesseln. Die Tränen und das Lachen lieferten sich ein Tauziehen. Die Einfachheit über Themen zu schreiben, über die man oft nur schweigt, erzeugte ein Staunen, welches ich bis heute nicht aus meiner Grimasse bekommen konnte.Für dieses Buch eine Empfehlung auszusprechen wäre zu wenig. Es ist vielmehr ein Wunsch. Der Wunsch, dass es viele Menschen lesen. Ein Stück Kultur, ein Stück Welt nimmt man nach der Lektüre in sein 
Leben mit.

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